SAP-Technologiestrategie: Integration als Fundament für KI und Cloud – Keynote von Philipp Herzig
Eine Analyse der strategischen Ausrichtung des Softwarekonzerns
Zusammenfassung der Keynote von Philipp Herzig, Chief Technology Officer der SAP, auf den DSAG Technologietagen 2025
Executive Summary
Auf den DSAG Technologietagen 2025 in Wiesbaden präsentierte Philipp Herzig, seit Januar 2025 als Chief Technology Officer (CTO) der SAP tätig, die technologische Strategie des Konzerns. Der Schwerpunkt liegt auf einer konsistenten Weiterentwicklung der bisherigen Integrationsarchitektur als Fundament für künstliche Intelligenz und cloud-basierte Geschäftsmodelle. Die vorgestellte Strategie betont die Kontinuität bisheriger Entwicklungslinien, insbesondere im Bereich der Datenintegration, und definiert die Business Data Cloud (BDC) als konsequente Weiterentwicklung zur Lösung der Herausforderungen im Bereich der Datenintegration. Diese Zusammenfassung beschreibt die zentralen Strategiekomponenten, beleuchtet aktuelle Entwicklungen in den Bereichen künstliche Intelligenz, Datenintegration und Cloud-Services und verdeutlicht deren Bedeutung für SAP-Anwenderunternehmen.
- Die strategischen Grundlagen: Evolution statt Revolution
1.1 Kontinuität als Leitmotiv
Philipp Herzig stellte zu Beginn seiner Ausführungen klar, dass die auf dem „Business Unleashed Event“ vorgestellte Strategie keine grundlegende Neuausrichtung, sondern vielmehr ein konsequentes Fortschreiben der bisherigen Strategie darstellt. Diese Kontinuität zeigt sich besonders im Bereich der Integration, wo die 2020 publizierte „North Star Architecture“ weiterhin als strategischer Kompass dient.
Die Entwicklung folgt einem zyklischen Modell:
- Operationale Prozesse in Business-Applikationen generieren Daten
- Diese Daten bilden die Grundlage für Geschäfts-KI
- KI-gestützte Anwendungen steigern den Mehrwert der Business-Applikationen
- Dieser Mehrwert generiert wiederum neue und bessere Daten
Dieses Modell einer „Aufwärtsspirale“ steht im Zentrum der SAP-Strategie und verbindet die drei Schlüsselbereiche Prozesse, Daten und KI zu einem integrierten Ökosystem.
1.2 Fortschritte bei der Integration
Die Integration heterogener SAP-Lösungen hat laut Herzig deutliche Fortschritte gemacht:
- Harmonisierte User Experience: Sämtliche Applikationen basieren einheitlich auf Fiori Horizon
- Zentralisiertes Identity Management: Cloud Identity Services mit Global User ID wird aktuell von etwa 10.000 Kunden genutzt
- Standardisierte Stammdaten: Business Partner, Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter sind zwischen verschiedenen SAP-Lösungen harmonisiert
Dennoch betonte Herzig die Notwendigkeit der konsequenten Adoption dieser Standards in Kundenprojekten. Häufig werden in Implementierungen die vorhandenen Integrationsmechanismen nicht vollständig genutzt, was zu Brüchen in der Gesamtarchitektur führt.
1.3 RISE with SAP als Transformationsbeschleuniger
Ein bemerkenswerterer Indikator für die Marktakzeptanz der SAP-Strategie ist die zunehmende Verbreitung von RISE with SAP:
- 38% der globalen Wirtschaftsleistung werden laut Herzig inzwischen in der Cloud über RISE abgewickelt
- Mehr als 50% der wertvollsten Unternehmen weltweit nutzen RISE
- Das Integrationsportfolio umfasst mittlerweile 3.800 vorgebaute Integrationen, 4.400 APIs, 600 Events und 1.200 Integrationsartefakte von Partnern
Herzig betonte, dass neue Services wie Task Center, SAP Joule, Mobile Start und SAP Start von Anfang an für die Integration mit Nicht-SAP-Systemen wie Salesforce, ServiceNow oder Workday konzipiert wurden, um heterogene IT-Landschaften besser unterstützen zu können.
- Künstliche Intelligenz als strategischer Wachstumstreiber
2.1 Verbreitung und Akzeptanz
Die Verbreitung von KI-Lösungen im SAP-Ökosystem nimmt deutlich zu:
- 34.000 Kunden nutzen SAP Business AI produktiv
- Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Wachstum von 26%
- Prominente deutsche Beispiele umfassen Bosch (generative KI-Features im Service Management), Henkel (Beschleunigung der Rechnungserfassung) und Unitas (KI-gestützte Bestellprozesse)
Der DSAG-Investitionsreport zeigt laut Herzig eine signifikante Verbesserung in der Wahrnehmung der SAP-KI-Strategie: Während im Vorjahr kein Unternehmen die Strategie als „sehr gut“ bewertete, sind es inzwischen 30%, die die KI-Strategie als „sehr gut“ oder „gut“ einstufen. Zudem betrachten 50% der Befragten den Mehrwert von Business AI im SAP-Kontext als hoch oder sehr hoch.
2.2 SAP Joule als Beispiel für integrierte KI
SAP Joule, der KI-Assistent von SAP, dient als Paradebeispiel für die Integrationsstrategie:
- SAP Joule wurde als übergreifender, einheitlicher Service konzipiert, nicht als separate Lösung für einzelne Anwendungen
- Der Service ist technisch in der Business Technology Platform (BTP) verankert und lässt sich innerhalb von fünf Minuten in verschiedene Anwendungen integrieren
- Dank des harmonisierten Identity Managements können Nutzer aus jeder Anwendung heraus fachbereichsübergreifende Fragen stellen
2.3 Umfassende KI-Implementation im SAP-Portfolio
Die Integration von KI-Funktionen in SAP-Lösungen schreitet rasch voran:
- Aktuell sind mehr als 210 integrierte, generative KI-Szenarien implementiert
- Hinzu kommen etwa 60 prädiktive ML-Verfahren, wie z.B. zur Nachfrageprognose in der integrierten Geschäftsplanung
- Bis Ende 2025 sollen ca. 400 generative KI-Szenarien über das gesamte Portfolio verfügbar sein
- Diese Funktionen sind mit einem Klick aktivier- und konfigurierbar
Ein besonderer Fokus liegt auf KI-Agenten, die bereits in der Sales Cloud, Service Cloud und Commerce Cloud (Shopping Assistant) sowie im Claims Management im Rahmen von Service Management Finance verfügbar sind.
2.4 SAP Knowledge Graph als semantische Grundlage
Eine zentrale Innovation für die KI-Strategie ist der SAP Knowledge Graph:
- Der Knowledge Graph fungiert als semantisches Modell der SAP-Datenlandschaft und dient als „neues Data Dictionary im KI-Umfeld“
- Er basiert auf der HANA Cloud Knowledge Graph Engine
- Aktuell sind darin 400.000 ABAP-Tabellen für Private Cloud und Public Cloud repräsentiert (7,3 Millionen Felder) sowie 80.000 CDS-Queries
- Diese semantische Schicht ermöglicht es KI-Modellen, das komplexe SAP-Datenmodell zu „verstehen“
- Der Knowledge Graph stellt die Verbindung zwischen den Datenprodukten der Business Data Cloud und der KI-Schicht dar
- Business Data Cloud als strategische Innovation
3.1 Strategische Einordnung
Die Business Data Cloud (BDC) stellt laut Herzig keine Revolution, sondern eine konsequente Lösung für ein bisher ungelöstes Problem dar: die konsistente Datenintegration für analytische Zwecke und KI-Anwendungen.
Die Schlüsselkomponenten der BDC-Strategie sind:
- Harmonisierung von SAP-Daten über Anwendungsgrenzen hinweg
- Integration von Nicht-SAP-Daten
- Nahtlose Migration bestehender Data-Lakehouse-Architekturen, insbesondere bei Einsatz von Databricks
- Unterstützung von Brownfield-Situationen durch entsprechende Migrationspfade (geplant für Ende 2025)
3.2 Datenprodukte als zentrale Bausteine
Ein wesentliches Element der BDC sind die Datenprodukte:
- Bis Ende 2025 sollen 80% der meistgenutzten SAP-Anwendungen mit entsprechenden Datenprodukten ausgestattet sein
- Diese Datenprodukte fließen in den Knowledge Graph ein und bilden die semantische Basis für KI-Anwendungen
- Die Datenprodukte folgen dem Data-as-Product-Prinzip und sollen eine konsistente Nutzung über verschiedene Anwendungen hinweg ermöglichen
- Offene Herausforderungen und Schwerpunkte der Zusammenarbeit mit der DSAG
Im anschließenden Dialog mit Sebastian Westphal wurden mehrere Herausforderungen und offene Themen diskutiert, die für die erfolgreiche Implementierung der SAP-Strategie von Bedeutung sind.
4.1 Governance und Monitoring für BTP-Services
Ein zentrales Anliegen der DSAG betrifft die Harmonisierung des operativen Betriebs von BTP-Services. Herzig erläuterte hierzu:
- Die SAP unterscheidet zwischen interner und externer Observability
- Cloud ALM ist und bleibt der zentrale Einstiegspunkt für Kunden zum Monitoring
- Das Ziel ist jedoch, langfristig weniger Komplexität zu exponieren und mehr „SAP-Managed“ zu implementieren
4.2 Zertifikatsmanagement
Das Zertifikatsmanagement wurde als konkretes Beispiel für Betriebskomplexität genannt:
- Die aktuelle Strategie zielt auf eine Automatisierung mit Short-Life-Zertifikaten
- Der Ansatz ähnelt TLS und WiFi mit automatischer Konfiguration und Erneuerung
- Kundenrelevante Zertifikate werden weiterhin in Cloud ALM exponiert
- Mittelfristiges Ziel ist ein weitgehend automatisiertes Zertifikatsmanagement, das Komplexität vor dem Kunden verbirgt
4.3 Transparenz und Vereinfachung des kommerziellen Modells
Die heterogenen Preismodelle (Messages, Credits, Subscriptions) wurden als Herausforderung identifiziert. Herzig kündigte mehrere Initiativen an:
- Einen AI-Feature-Katalog und AI-Feature-Kalkulator zur besseren Planbarkeit der Kosten
- Ein umfassenderes Release für SAP for Me im Mai 2025 zur verbesserten Nutzungstransparenz
- Eine FinOps-Lösung, aktuell als Open-Source-Projekt verfügbar, die in den nächsten 12 Monaten in BTP und SAP for Me integriert werden soll
- Eine Vereinfachung der heterogenen Metriken für AI-Units
4.4 Identity Management
Das Thema Identity Management stellte einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion dar. Herzig betonte die zentrale Bedeutung des Cloud Identity Service mit Global User ID als strategische Grundlage und adressierte mehrere offene Punkte:
- Die Strategie basiert auf Cloud Identity Service und Identity Provisioning Service als zentralen Komponenten
- Die Integration mit Microsoft Entra (ehemals Azure AD), Okta und anderen Identity-Providern wird vollständig unterstützt
- Für neu akquirierte Lösungen wie LeanIX / WalkMe steht die vollständige Integration noch aus
- Eine umfangreiche Liste von 60 funktionalen Anforderungen wurde zur Hälfte bereits adressiert oder geklärt
- Verbleibende Punkte betreffen u.a. die Abstimmung mit Microsoft zum On-Premise-Support und spezifische Synchronisationsfragen
Herzig betonte, dass die Adoption des Identity Managements eine Grundvoraussetzung für die Nutzung neuer Technologien wie SAP Joule darstellt. Eine Umfrage während der Session zeigte eine gleichmäßige Verteilung zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern des Cloud Identity Service unter den Teilnehmern.
- Strategische Implikationen für SAP-Anwender
5.1 Notwendigkeit der Standardadoption
Eine zentrale Botschaft von Herzigs Vortrag war die Notwendigkeit, die vorhandenen Standards konsequent zu adoptieren. Die fortgeschrittene Integration der SAP-Lösungen kann nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn:
- Global User ID und Cloud Identity Services konsequent implementiert werden
- Die harmonisierten Stammdatenstrukturen tatsächlich genutzt werden
- Best Practices für Implementierungen befolgt werden
5.2 Vorbereitung auf KI-Anwendungen
Um vom wachsenden KI-Portfolio zu profitieren, sollten Unternehmen:
- Die Datenqualität in ihren SAP-Systemen systematisch verbessern
- Die Integration zwischen verschiedenen SAP-Lösungen und mit Nicht-SAP-Systemen stärken
- Die technischen Voraussetzungen für KI-Nutzung (Identity Management, Cloud-Readiness) schaffen
- Die verfügbaren KI-Features identifizieren und deren Wirtschaftlichkeit prüfen (z.B. mittels AI-Feature-Kalkulator)
5.3 Cloudtransformation als Wettbewerbsfaktor
Die RISE-Zahlen zeigen, dass die Cloud-Transformation im SAP-Umfeld deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Für Unternehmen ergeben sich daraus mehrere strategische Überlegungen:
- Positionierung im Marktumfeld, wenn bereits 38% der globalen Wirtschaftsleistung über RISE abgewickelt werden
- Evaluierung der eigenen Cloud-Strategie im Kontext der SAP-Roadmap
- Vorbereitung auf neue integrierte Services, die primär für Cloud-Umgebungen entwickelt werden
- Fazit und Ausblick
Philipp Herzigs Ausführungen unterstreichen die Kontinuität und Evolution der SAP-Technologiestrategie. Der Fokus liegt auf drei miteinander verbundenen Säulen:
- Integration als Fundament: Die konsequente Harmonisierung von Benutzeroberflächen, Identitäten und Daten schafft die Grundlage für intelligente Anwendungen.
- KI als Innovationstreiber: Mit mehr als 210 generativen KI-Funktionalitäten und einem klaren Wachstumspfad auf 400 bis Ende des Jahres setzt SAP massiv auf künstliche Intelligenz zur Steigerung des Geschäftswerts.
- Datenintegration als Schlüsselelement: Die Business Data Cloud adressiert die Herausforderung der anwendungsübergreifenden Datenintegration und schafft die Voraussetzungen für datengetriebene Entscheidungen.
Für SAP-Anwenderunternehmen bedeutet dies eine Fortsetzung des eingeschlagenen Weges mit einem verstärkten Fokus auf die konsequente Adoption von Standards. Die erfolgreiche Implementierung der SAP-Strategie wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit es gelingt, die noch bestehenden Herausforderungen im Bereich Governance, Transparenz und Identity Management gemeinsam zu lösen und die technologischen Innovationen in messbaren Geschäftsmehrwert zu überführen.
© 2025 Synaworks Community | Blogartikel zu den DSAG Technologietagen 2025