SAP S/4HANA ist ein Change Management Projekt – Teil 1
Daniel Kohl (Gründer und CEO, Synaworks GmbH) und Gerd Hagmaier (VP S/4HANA and Business Transformation, Capgemini Deutschland GmbH) haben sich zu einem Austausch über die Digitale Transformation verabredet.
Daniel Kohl: Hallo Gerd. Schön, dass du Zeit für einen Austausch gefunden hast.
Gerd Hagmaier: Natürlich, sehr gerne. Für mich ist es immer spannend mich mit Kollegen und Partnern über die Erfahrungen bei Kunden auszutauschen.
Daniel Kohl: Genau. Um wirklich einen Eindruck zu gewinnen, wie Organisationen mit den Themen Digitale Transformation und dem Umstieg auf SAP S/4HANA umgehen, ist das Teilen von Erfahrungen wahnsinnig wertvoll. Was sind deine bisherigen Erkenntnisse mit S/4HANA-Transformationen?
Gerd Hagmaier: Ich habe kürzlich eine interessante Umfrage gesehen. Diese zeigte auf, wie viele Unternehmen bereits den Umzug auf SAP S/4HANA durchgeführt haben:
Die beiden SAP Anwendergruppen DSAG und ASUG haben im Juli 2020 ihre Mitglieder – insgesamt sind das mehr als 800 Bestandskunden – zum Thema SAP S/4HANA befragt.
Laut dieser Umfrage haben 70% der DSAG-Mitglieder und 55% der ASUG-Mitglieder aktuell ein SAP S/4HANA Transformationsprojekt am Laufen oder planen dies in Zukunft. In diesem Zusammenhang gaben lediglich 12% der DSAG-Mitglieder bzw. 16% der ASUG-Mitglieder an bereits live zu sein und die neuen, technologischen Möglichkeiten von SAP S/4HANA zu nutzen.
Daniel Kohl: Das ist erstaunlich. Stellt sich dir nicht auch die Frage, warum nicht bereits schon mehr Unternehmen SAP S/4HANA produktiv im Einsatz haben?
Gerd Hagmaier: Die ASUG-Mitglieder, die an der Umfrage teilgenommen haben, begründen dies durch zu hohe Kosten, fehlendem Business-Case und noch laufenden SAP ECC Projekten. Die DSAG-Mitglieder nannten wiederum die fehlende Notwendigkeit für einen Umstieg, die Unsicherheit bezüglich der neuen Funktionalitäten und an dritter Stelle auch den fehlenden Business-Case für den Umstieg nach SAP S/4HANA.
Daniel Kohl: Eins ist sicher: Technisch gesehen, steht früher oder später bei allen SAP Anwenderunternehmen die Umstellung auf die neue Lösung SAP S/4HANA bevor. Ich vermute jedoch, dass das damit verbundene Potential für die Fachbereiche und die Innovationskraft für das gesamte Unternehmen häufig noch nicht genutzt bzw. der Mehrwert vom Management noch nicht gesehen wird.
Diese Vermutung wird durch eine weitere Umfrage der DSAG mit rund 100 IT-Verantwortlichen im Sommer diesen Jahres gestärkt. Dabei bereitet den Unternehmen die größte Schwierigkeit eine fehlende Vision (43% der Teilnehmer) und nicht primär die neuen Technologien.
Gerd Hagmaier: Die Frage, die sich Unternehmen stellen ist doch, wie viel Transformation soll angegangen werden? Um dies zu beantworten, sollte der erste Schritt immer eine Evaluation neuer Technologien sein, sowie die Entwicklung von Business Cases. Da S/4HANA kein reines Technologieprojekt ist, ist es sehr wichtig abzuschätzen, welche Auswirkung die Transformation auf die bestehende Organisation und auf die Prozesse hat. Entsprechend kann eine Strategie entworfen und ein organisatorischer und technologischer Rahmen definiert werden.
Daniel Kohl: Klar ist, dass S/4HANA, genau so wenig wie einzelne Tools, die Lösung für alle Probleme sein kann. Unternehmen sollten so früh wie möglich individuell entscheiden, wie viele Variablen sie in ihrer Strategie berücksichtigen wollen. Die Variablen bilden dann den Umfang eines (Vor-)Projekts für die Transformation. Ist ein neues Stammdatenkonzept erwünscht? Wird eine neue Reportingstruktur benötigt? Wie steht es um die Cloud- und Daten-Strategie? Je mehr Variablen das Projekt einschließt, desto mehr Entscheidungen müssen auch getroffen werden.
Bei den Kunden zeigen sich hierzu große Unterschiede und es gibt keine allgemeingültige Antwort.
Organisationen müssen individuell abwägen, welcher Grad der Veränderung für sie verdaubar und leistbar ist. Welcher Change ist zwingend notwendig und welcher optional? Ein gutes Change Management, das von Anfang an den Zweck und die Ziele der Transformation für die betroffene Organisation und Stakeholder transparent macht sowie das Ausmaß und die Auswirkungen der resultierenden Veränderungen aufzeigt, ist erfahrungsgemäß der absolute Erfolgsfaktor in jedem S/4HANA Projekt.
Gerd Hagmaier: Und das ist ein klares Leadership-Thema. Nicht jedes Unternehmen, nicht jede Abteilung oder gar jeder einzelne Mitarbeiter ist schon für die Transformation bereit.
Es geht hier um die Veränderungsfähigkeit des gesamten Unternehmens.
Daniel Kohl: Da stimme ich dir voll und ganz zu. Unternehmen müssen in der Lage sein sich den steigenden Anforderungen, wie beispielsweise mehr Kundenzentrierung, höhere Liefergeschwindigkeit und kürzere Markteinführungszyklen anzupassen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass sich das Business dazu neu ausrichten muss und dadurch folglich sich auch das gesamte Unternehmen dadurch entsprechend verändert. Um sich hier erfolgreich weiterzuentwickeln, müssen technische Innovationen zielgerichtet eingesetzt werden. Nur so kann es gelingen, Geschäftsprozesse zu optimieren, diese entsprechend zu automatisieren, um dann die notwendige Geschwindigkeit und Flexibilität zu erreichen.
Gerd Hagmaier: Also ist doch die entscheidende Frage, mit welcher Bereitschaft wird Veränderungen zugelassen? Manche Kunden glauben, der Umstieg nach SAP S/4HANA sei doch ein reines IT-Projekt, andere wiederum sehen hier gar den Bedarf für ein „Neue-Werte-Projekt“. Bei diesen Kunden steht besonders der Faktor „Mensch“ und die damit verknüpften Veränderungen in der Organisation im Vordergrund. Auch bekannt unter dem Stichwort: „Agile Organisation“. Ein frühes Einbinden aller relevanten Beteiligten ist dabei für den Erfolg des Transformationsprojekts maßgeblich.
Wir bei Capgemini wollen daher noch vor Beginn des Projekts ermitteln, welche Rolle bzw. welchen Zweck die Organisation, die Abteilung oder der einzelne Mitarbeiter einnimmt?
Daniel Kohl: Klingt plausibel. Schließlich definiert die Organisation die einzelnen Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Jedoch ist der Mitarbeiter derjenige, der sich dann gegebenenfalls ändern muss. Es ist so wichtig, ein Verständnis zum Sinn des eigenen Tuns im organisationalen Kontext sowie die Positionierung in Bezug auf IT oder Fachbereiche zu entwickeln. Versteht sich die IT-Organisation eher als Enabler oder als Verwalter?
Wie geht ihr bei Capgemini hier vor?
Gerd Hagmaier: Bei Capgemini nutzen wir hierfür in unseren C-Level Workshops gerne den Teamkompass. Darin beginnen wir mit der Frage: Was ist die Zweckbestimmung Ihrer Abteilung? Eine Kurzvorstellung der Abteilung und die Definition der Rolle im Unternehmen hilft dann bei der Orientierung.
Durch diese Herangehensweise schaffen wir bei den Teilnehmern ein besseres Bewusstsein über die Zielsetzung, Arbeitsweise und Organisation in ihrer Abteilung. Denn es muss transparent sein, dass der Fokus nicht nur auf der Technologie liegt, sondern auf der Analyse der „Schmerzpunkte“ und Auswirkungen der Veränderungen für die betroffenen Abteilungen, Teams und Mitarbeiter.
Daniel Kohl: Das ist wirklich spannend. Leider muss ich jetzt in den nächsten Termin. Lass uns doch bitte noch in dieser Woche an der Stelle wieder einsteigen und weitersprechen.